Das Kind in Ehrfurcht empfangen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen
— Rudolf Steiner
Entstehung und Grundlagen der Waldorfpädagogik
Die erste Waldorfschule wurde 1919 von Rudolf Steiner (1861–1925) in Stuttgart gegründet. Sie entstand in der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik, die damit der Pädagogik ihren Namen gab. Die Grundidee Steiners eine Schule zu gründen, war der damals revolutionäre Gedanke, dass junge Menschen unabhängig von sozialer Herkunft, Begabung und späterem Beruf eine gemeinsame Bildung erhalten sollten. Kindergärten waren damals noch nicht üblich, erst später fand der Waldorfgedanken auch Einzug in die vorschulische Pädagogik.
Rudolf Steiner war Begründer der Anthroposophie, deren Grundsätze mit in die Pädagogik einfließen. Die Rolle, die Erziehung und Ausbildung nach Steiners Auffassung in der Menschheitsentwicklung spielen, kann man nicht ohne einen umfassenden Zusammenhang verstehen. Steiner geht von einer „dreigegliederten“ Gesellschaft aus: Im Dasein der Gesellschaft und des einzelnen Menschen können drei Lebensgebiete unterschieden werden:
- geistig-kulturelles
- wirtschaftliches und
- rechtlich-politisches Leben
Nach Steiner sollen diese 3 Bereiche als drei nebeneinander bestehende, in gegenseitiger Unabhängigkeit verwaltete Gesellschaftsfunktionen betrachtet und behandelt werden.
Die Zielsetzung seiner Arbeit für soziale Dreigliederung ist:
- Geistige Freiheit im Kulturleben
- Soziale Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben
- Demokratische Gleichheit im Rechtsleben
Für seine Pädagogik ist der erste Punkt besonders interessant.
Die Freiheit ist Grundbedingung für ein schöpferisches Geistesleben. Lehrpläne, eine vorgeschriebene Gestaltung des Unterrichtes , eine Benotung u.ä. schränkt diese Freiheit ein.
Alle Neuerungen in der Welt, alles Schöpferische, geht auf individuelle Leistungen zurück. Aber die Chancen des Individuums, seine inneren Quellen zu erschließen, sind von der Pflege abhängig, die es durch Erzieher und Lehrer erfährt.
Individuelle Begabung zu fördern, nicht das Heranziehen des Nachwuchses für die geradlinige Fortsetzung schon festgelegter technisch-wirtschaftlicher Entwicklungsbahnen ist die wichtigste Aufgabe der Erziehung.
Das Recht der Jugendlichen auf eine in diesem Sinne freie Ausbildung, die ihre Impulse und Anlagen möglichst vielseitig zur Entfaltung bringt, ist eine der wichtigsten Gründe, die Rudolf Steiner für die Errichtung freier Schulen anführt.
Der Waldorfkindergarten
Die zentrale Aufgabe der Waldorfpädagogik im Kindergartenalter besteht darin, die Bedingungen zu erfüllen, die Kinder brauchen, um sich frei und selbständig in die Welt hineinzustellen und sich mit ihr zu verbinden. Durch die Gestaltung der kindlichen Umgebung müssen die nötige Sicherheit und die Anregungen garantiert sein, die dem Kind den Freiraum schaffen, spontan aus sich heraus unmittelbar ins Spiel zu kommen.
Wesentliche Merkmale der Umgebungsgestaltung sind:
- Eine gewisse Grundordnung fördert das phantasievolle Spiel. Dinge sind an ihrem Platz, aus aufgeräumten Kisten lässt sich besser konstruieren.
- Räume und Häuser sind wie eine erweiterte Haut, ihre Beschaffenheit beeinflusst die sozialen Prozesse ebenso wie Erleben und Gesundheit. Nicht rein funktionale Gesichtspunkte, sondern Lebensgefühle wie Beruhigung, Geborgenheit, aber auch Offenheit spielen bei der Form- und Materialbeschaffenheit, den Farben und der Beleuchtung eine Rolle. Wir werden diesen Ideen besonders bei der Innengestaltung mit baubiologischen Materialen (Lehmputz), lasierten Wänden, Holzmöbeln mit möglichst abgerundeten Kanten, Spielmaterialien aus der Natur in Körben, Spielständer etc. Rechnung tragen.
- Rhythmus und Rituale geben Sicherheit. Rhythmus gliedert den Kindergartenalltag und ist keine Pedanterie, sondern gibt den Kindern ein sicheres Gefühl.
- Durch das Vorbild der ErzieherInnen und die Nachahmung durch die Kinder werden Tätigkeiten als sinnvolle Arbeitsprozesse erlebt.
- Auch der Bau und die Innenraumgestaltung sind wichtig. So wird bei der Architektur von Kindergärten (und auch Schulen) Wert auf die Vermeidung von rechten Winkeln gelegt, was eine Äußere und innere Harmonie bewirken soll. Die Farbgebung und die Farbe an sich hat ebenso Einfluss auf die Kinder.
Exemplarischer Tagesablauf:
Der Tag beginnt mit Freispiel bis alle Kinder eingetroffen sind. Die Erzieherin arbeitet an dem, was sie sich vorgenommen hat, ihre Tätigkeit ist Mittelpunkt und wirkt ansteckend auf die Kinder, sie wollen helfen oder tun ähnliches. Morgenkreis. Freispiel. Aufräumen (nicht durch Anordnung sondern durch Nachahmung und Phantasie). Gewohnte Reime und Lieder leiten zum rhythmischen Teil über. Rollenspiele, Märchen und Geschichten entsprechend den Jahreszeiten. Geführte sorgfältig geformte Bewegungen wirken belebend auf die Sprache, das Freispiel wird bereichert. Mahlzeiten werden miteinander vor- und zubereitet, Brot gebacken. Auslauf, Spaziergang, Beobachtungen. Abschluss am Ende des Vormittags bildet das Märchen, erzählt oder als Puppenspiel. Künstlerische Tätigkeiten wie Wasserfarbenmalen, Eurythmie, Plastizieren u.ä. finden wöchentlich oder in besonderen Rhythmen statt. Der Jahresrhythmus spielt in den Tagesrhythmus mit hinein.
Quellen:
- Brockhaus Multimedial. Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 2001
- www.waldorfkindergartenseminar.de
- Johannes Hemleben: Rudolf Steiner. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg, 1963
- Frans Carlgren (Text): Erziehung zur Freiheit: die Pädagogik Rudolf Steiners; Bilder und Berichte aus der internationalen Waldorfschulbewegung. Stuttgart, 1996